Auswahl weiterer agaricoider Holzzersetzer
Weitere häufige Gattungen mit Arten holzzersetzender Blätterpilze in Nadel- und Mischwäldern sind (vgl. Abb. 63 mit anschließendem Text):
Hypholoma, Schwefelköpfe (Abb. 260c-e), mit mehreren häufigen Arten, die Holzzersetzer sind, aber auch einige, die in Moosgesellschaften leben (vgl. Tabelle 88).
Kuehneromyces mutabilis, Stockschwämmchen (Abb. 260f), ein häufiger Stubbenbewohner vom Frühjahr bis in den Winter. Verbeitet ist auch K. lignicola, glattstieliges Stockschwämmchen, besonders auf Nadelholz in Bergwäldern (Moser 1994).
Pholiota, Schüpplinge, (Abb. 261; Tabelle 87).
Abb. 260: Pholiota, Schüpplinge, Hypholoma, Schwefelköpfe und Kuehneromyces, Stockschwämmchen: a, b Pholiota squarrosa, sparriger Schüppling; a an der Stammbasis eines Apfelbaumes; b Subhymeniun und Hymenium mit Cystide, Basidien und Basidiosporen; c, d Hypholoma sublateritium, ziegelroter Schwefelkopf; c Habitus; d Subhymeniun und Hymenium mit Cystide, Basidien und Basidiosporen; e Kuehneromyces mutabilis; f Hypholoma capnoides, rauchblättriger Schwefelkopf; alle Tübingen, Schönbuch: a, b 17.11.2004; c, d 9.10.2003; e 8.10.2002; f 24.10.2004. Orig.
Abb. 261: Pholiota cerifera, hochwachsender Schüppling, an Fagus sylvatica, Buche: a Standort; b Büschel von Fruchtkörpern; c Basidie und zwei Basidiosporen; Maßstabteilstriche in μm. Oberjoch, Iseler-Nordhang, 23.9.2008. Orig.
Ökologie einiger Pholiota- und Hemipholiota-Arten, Schüpplinge
Tabelle 87: bevorzugte Standorte von ausgewählten Pholiota- und Hemipholiota-Arten, Schüpplinge:
Auf Holz
Auf Nadelholzstrünken Ph. flammans, Feuerschüppling
Auf Laubholz
Besonders an den Stammbasen von Obstbäumen Ph. squarrosa, sparriger Schüppling
An Stämmen und Stümpfen von Buche Ph. adiposa, schleimiger Schüppling
Meist hoch an noch lebenden Stämmen Ph. cerifera, hochwachsender Schüppling, Abb. 261
Meist an Populus H. populnea, Pappelschüppling
Auf Boden, Erde
Bei Alnus und Betula Ph. alnicola, Erlenschüppling
Auf Torfböden H. myosotis, Scheinschüppling
Auf Brandflächen und alten Feuerstellen Ph. highlandensis, Kohlenschüppling
Ökologie einiger Hypholoma-Arten, Schwefelköpfe
Tabelle 88: bevorzugte Standorte von ausgewählten Hypholoma-Arten, Schwefelköpfe:
Auf Nadelholz H. capnoides, rauchblättriger Schwefelkopf; H. radicosum, wurzelnder Schwefelkopf
Auf Nadelholz, Holzresten und Nadelstreu H. marginatum, natternstieliger Schwefelkopf
An Nadel- und Laubholz H. fasciculare, grünblättriger S.; H. sublateritium, ziegelroter S.
Zwischen Moosen
Zwischen Laubmoosen, Atrichum, Polytrichum etc. H. polytrichi, Moosschwefelkopf
Zwischen Torfmoosen, Sphagnum H. elongatum, Torfmoosschwefelkopf
Abb. 262: Mycena-Arten, Helmlinge: a Mycena stipata, büscheliger Nitrathelmling, aus einem liegenden Nadelholzstamm hervorwachsend; b Mycena crocata, gelbmilchender Helmling, befallen von Spinellus fusiger, Mucorales, Zygomycota. a Tübingen, Schönbuch, 8.10.2002; b Tübingen, Schönbuch 24.10.2004. Orig.
Pilze in der Spätphase des Braunfäuleabbaues
In der späten Zersetzungsphase der Braunfäule sind einige spezialisierte Basidiomyceten beteiligt, darunter Repetobasidium-Arten (Abb. 263 c), Sphaerobasidium minutum (Abb. 263a, b) und Lobulicium occultum. Die Fruktifikationen bestehen nur aus wenigen Substrathyphen, einem sehr dünnen Subhymenium und einem glatten Hymenium, das neben Basidien auch Cystiden enthalten kann. Repetobasidium bildet keine Basidienkandelaber, vielmehr werden absporulierte Basidien von jungen durchwachsen, sodaß Basidiensäulen entstehen.
Abb. 263: Fichtenmoderholz besiedelnde Mikro-Basidiomyceten: a, b Sphaerobasidium minutum, a Fruchtkörper auf rotfaulem Moderholz eines Fichtenstumpfes; b Schnitt durch den gesamten Fruchtkörper mit basalen Hyphen, Cystiden, Basidien in unterschiedlichen Entwicklungstadien und Basidiosporen; c säulenartige Abfolge der Basidien von Repetobasidium. a Bad Reichenhall, Hochstaufen, 14.10.2004; b aus Oberwinkler (1965). Orig.
Zapfen- und Nadelzeresetzer
Abb. 264: Koniferenzapfen bewohnende Blatterpilze: a Baeospora myosura, Mäuseschwanzrübling, in einer Kolonie unterschiedlich alter Fruchtkörper auf einem Fichtzapfen; b Strobilurus esculentus, Fichtenzapfenrübling, ist auf Zapfen von Picea abies, Fichte, spezialisiert. a Tübingen, Schönbuch, 30.9.1986; b Kärnten, Greifenburg, Pobersach, 9.4.2007. Orig.
Zeitig im Frühjahr erscheinen nur auf abgefallenen Fichtenzapfen die dunkelolivbraunen Scheiben von Rutstroemia bulgarioides, Fichtenzapfenbecherling (Abb. 179h-i) und im Sommer die rosa bis braunroten Apothecien von Ombrophila janthina (Helotiales, Gelatinodiscaceae), Fichtenzapfengallertkreisel. Strobilurus esculentus, Fichtenzapfennagelblättling, (Abb. 264b) wächst ebenfalls im Frühjahr nur auf abgefallenen Fichtenzapfen; er ist ein Doppelgänger von Strobilurus tenacellus, Kiefernzapfen-Nagelblättling. Auch Baeospora myosura, der Mäuseschwanzblättling, (Abb. 264a) ist ein Zapfenspezialist, allerdings nicht auf Fichtenzapfen beschränkt.
Abb. 265: Mycena-Arten auf Fichtennadelstreu: a Bestand von Mycena rosella, rosa Helmling; b Mycena galopus, weißmilchender Helmling; c Mycena sanguinolenta, purpurschneidiger Bluthelmling; d Mycena aurantiomarginata, orangeschneidiger Helmling. a, d Oberjoch, Isler, 2./3.10.2004; b Tübingen, Schönbuch, 6.10.1994; c Oberjoch, Iseler, 1.10.2001. Orig.
Abb. 266: Micromphale perforans, Nadelschwindling, auf Fichtennadeln wachsend. Unterjoch, 16.9.1992. Orig.
Die Fichtennadelstreu wird von einer Schar von Substratspezialisten besiedelt. Besonders auffällig sind die Herden mehrerer Helmlinge und Schwindlinge, z.B. Mycena aurantiomarginata, orangeschneidiger Helmling (Abb. 265d), M. galopus, milchender Helmling (Abb. 265b), M. rosella, rosa Helmling (Abb. 265a), M. sanguinolenta, purpurschneidiger Bluthelmling (Abb. 265c), oder der nur auf Nadeln wachsende Micromphale perforans, Nadelschwindling, (Abb. 266). Durchaus selten ist dagegen die ebenfalls auf Nadeln wachsende Heyderia abietis, , Nadelhaubenpilz, ein gestielt-kopfiger Ascomycet (Helotiales, Cenangiaceae). Lophodermium piceae, Erreger der Fichtennadelröte (s. oben und Tabelle 98), tritt zwar bereits als Endophyt und dann als Parasit auf, bildet seine langgestreckten, spaltlippenartigen Fruchtkörper aber erst auf abgefallenen Nadeln am Boden aus.
Aus lebenden wie aus abgestorbenen Fichtennadeln sind zahlreiche Pilze isoliert worden, die zuallermeist den Ascomycota angehören. Unter diesen überwiegen nach Haňáčková et al. (2015) Arten der
Dothideales (Scleroconidioma sphagnicola, Hormonema dematioides),
Eurotiales (Thysanophora penicillioides),
Hypocreales (Cylindrocarpon magnusianum, Trichoderma spp.) und
Helotiales (Ceuthospora pinastri, Chalara spp.).
Saprobe Pilze unterschiedlicher Standorte
Abb. 267: In Laub- und Nadelwäldern häufig: a Mycena pura, Rettichhelmling; b Macrolepiota procera, Parasol; a, b Tübingen, Schönbuch, 8.10.2002. Orig.
Abb. 268: Stropharia aeruginosa, Grünspanträuschling: a, b Habitus; c Hyphen der Hutrama; d verschleimende Huthaut; e Lamellentrama und Hymenium mit Cystide und Basidien; f Basidiospore mit apikalem Keimporus. Wellenburg bei Augsburg, 5.9.1970. Orig.
Ökologie von Stropharia, Träuschlinge
Tabelle 89: bevorzugte Standorte von ausgewählten Stropharia-Arten, Träuschlinge:
Auf verrottendem Nadelholz St. aeruginosa, Grünspanträuschling, Abb. 268; St. hornemannii, üppiger T.
In Grasflächen und an Wegrändern St. coronilla, Krönchenträuschling
Auf gedüngten Böden und Dung
In Feldern St. rugosoannulata, rotbrauner Riesenträuschling
In gedüngten Wiesen St. luteo-nitens, riechender Träuschling
Auf Dung St. semiglobata, halbkugeliger Träuschling
Stropharia-Arten sind in ihren ökologischen Anpassungen vielfältig. Neben Zersetzern von Moderholz und Laubstreu, sind andere Dungbewohner (Tabelle 89), manche auf Nematodenfang spezialisiert.
An Grenzstandorten und gestörten Stellen, wie Vegetationslücken, Anrissen und Wegrändern, aber auch neben Laub- oder Ast und Zweighäufen können sehr unterschiedliche saprobe Blätterpilze fruktifizieren.
Anmerkungen zu ausgewählten Arten:
Phaeolepiota aurea, Glimmerschüppling (Abb. 269; Cortinariaceae, vgl. Anhang Agaricales), ist in der nördlichen Hemisphäre zerstreut, aber weit verbreitet, bevorzugt in Rand- und Sekundärvegetationen mit stickstoffreichen Böden, daher oft mit Urtica dioica, Brennnessel, und großblättrigen Stauden vergesellschaftet.
Abb. 269: Phaeolepiota aurea, Glimmerschüppling: a-c Habitus in unterschiedlichen Entwicklungsstadien; d Längsschnitt eines Fruchtkörpers mit aufgespanntem Velum; e Lamellenlängsschnitt mit Trama, Subhymenium, Hymenium und unterschiedlich entwickelten Basidien und Basidiosporen; f Ausschnitt aus dem Hymenium; h, i Basidiosporen in Außenansicht (h) und im Längsschnitt (i); g Huthaut mit Tramahyphen und kugeligen Zellen einer Hutschuppe. Wertach, Oberhalb der Pfeiffermühle, 4.10.2004. Orig.
Coprinus s.l., Tintlinge, sind saprobe, häufig nitrophile Wald-, Wiesen und Ackerland-Bewohner, die nach molekularphylogenetischen Analysen in mehrere Gattungen aufgeteilt wurden (Rehead et al. 2001; Örstadius et al. 2016), die hier mit jeweils einer Art angegeben werden:
Coprinus comatus, Schopftintling,
Coprinellus micaceus, Glimmertintling,
Coprinopsis atramentaria, Faltentintling,
Parasola plicatilis, Rädchentintling.
Abb. 270: Melanoleuca cognata, Frühlingsweichritterling: a, b Habitus; c Ausschnitt aus Huttrama mit Gloeoplere (schattiert), Subhymenium, Hymenium mit Cystide, und Basidien; d, e REM-Aufnahmen von einem Lamellenbruch mit herausragenden Cystiden (d) und Basidie mit Basidiosporen (e); g TEM-Aufnahme der ornamentierten Sporenwand. TüBG, 4.1976, 29.4.2004. Orig.
Die Gattung Melanoleuca, Weichritterling, ist habituell leicht und mikroskopisch sicher erkennbar (Abb. 270). Diese Merkmale sind verblüffend übereinstimmend mit denen der Russulaceae (Oberwinkler 1977; Anhang Basidiomycetensystem 1977):
Warzige Sporen mit amyloidem Ornament, das teilweise gratig verbunden ist,
schlauchartige Hyphen mit ölig-gelbem Inhalt in Teilen der Trama (Gloeopleren) und
zugespitzte Cystiden, die allerdings nicht aus den Gloeopleren hervorgehen.
Nach molekularphylogenetischen Analysen ist Melanoleuca allerdings zu den Amanitaceae zu stellen (Garnica et al. 2007; Anhang Agaricales).
In ihren ökologischen Präferenzen sind die Weichritterlinge erstaunlich einheitlich, indem grasige Wälder, Wegränder und Holzabfälle bei weitem bevorzugt werden. Daher ist es schwierig oder gar unmöglich, nähere Standortsspezifitäten zu geben. – Für Alpenwiesen werden Melanoleuca subalpina, Almweichritterling, und M. substrictipes angeben. –
Melanoleuca cognata, Frühlingsweichritterling, ist durch die frühe Fruktifiaktionszeit ausgewiesen. Es gibt jedoch weitere Arten, die relativ früh im Jahr erscheinen, wie M. brevipes, kurzstieliger Weichritterling, M. grammopodia, rillstieliger Weichritterling, M. paedida, gestreifter Weichritterling, M. robusta, kräftiger Weichritterling und M. verrucipes, Raustiel-Weichritterling.
Mycetozoa, Schleimpilze
Abb. 271: Entwicklungsgang typischer Mycetozoa, Schleimpilze: (1) Nach Bildung haploider Verbreitungseinheiten (Sporen) können diese bei günstigen Bedingungen keimen und (2) Flagellaten oder (3) Amöben freisetzen. Die Nahrungsaufnahme erfolgt durch Phagocytose. Amöben können sklerotisieren und damit ungünstige Bedingungen überdauern (4). Sowohl Flagellaten als auch Amöben können als Gameten (5) fungieren, wenn sie kompatibel sind. Eine diploide Zygote (6) wird zur Amöbozygote (7), die durch Phagozytose zu einem häufig makroskopisch sichtbaren, aus einer Zelle bestehenden Plasmodium (8) mit synchronisierten diploiden Kernen heranwächst. Das Plasmodium ist durch Plasmaströmungen beweglich und kann dabei verschiedenste Substrate phagozytieren. Bei normaler Weiterentwicklung differenzieren sich aus dem Plasmodium zumeist mehrere bis viele, azelluläre Fruchtkörper aus (9). In diesen werden durch membranäre Kompartimentierung um die Kerne Zellen gebildet, die als Sporen (1) freigesetzt werden. Die Reifeteilung (R!) kann entweder im Fruchtkörper oder erst in den Sporen erfolgen. Im letzteren Fall müßten die Sporen die durch die Meiose entstandenen, haploiden Kerne enthalten. Orig.
Obwohl Schleimpilze die verschiedensten Lebensräume besiedeln können, werden sie bewußt zuerst im Fichtenwald vorgestellt, da zwei Arten, Ceratiomyxa fruticulosa (Abb. 275c, d) und Lycogala epidendron (Abb. 277a-d), bei feucht-warmer Witterung häufig auf Moderholz und Stubben vorkommen. Beide Arten, bzw. Artenkomplexe sind zudem weltweit verbreitet.
Aus dem Phylogramm der Eukaryonten ist ersichtlich, dass Schleimpilze zur Amöben-Verwandtschaft (Abb. 272 am), also nicht zu den echten Pilzen gehören, was schon von de Bary (1866, 1884, 1887) erkannt wurde (Anhang Cryptogams).
Ein verbindendes Merkmal ist das Amöbenstadium in ihrem Entwicklungsgang (Abb. 271). Amöben können bereits bei der Sporenkeimung auftreten (4) oder aus der Zygote auswachsen (7). Das Spektakuläre ist, dass die ursprünglich mikroskopisch kleine und einkernige Amöbe im Verlaufe der Ontogenie durch permanente Phagocytose zur Riesenzelle des multinukleären Plasmodiums heranwächst (8).
Abb. 272: Hypothese zur Phylogenie der Eukaryonten-Großgruppen. am – mit amöboiden Stdien, he –heterokont begeißelt, op – opisthokont begeißelt. In Anlehnung an Cavalier-Smith et al. (2014). Siehe Text.
In diesem Stadium wird ein Kriechen über das Substrat durch intensive Plasmaströmungen ermöglicht. Bei ungestörter Weiterentwicklung wachsen aus dem Plasmodium, je nach dessen Größe, mehrere bis viele azelluläre Fruchtkörper (9) aus, in denen durch freie Zellbildung Sporen entstehen (1).
Als echte Pilze, Fungi, (Abb. 272) werden heterotrophe Eukaryonten zusammengefaßt, die nicht beweglich wie Tiere sind. Damit sind Schleimpilze (Mycetozoa) und falsche Mehltaupilze (Oophyta, Heterokonta, Abb. 25) ausgeschlossen.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die zu den echten Pilzen gehörenden Blastocladiomycota, Chytridiomycota und Neocallimastigomycota (Bewohner der Verdauungstrakte von Säugetieren) opisthokonte Flagellaten besitzen, die mit ihren Schubgeißeln schwimmen können.
Protostelium und Verwandte sind mikroskopisch kleine Organismen, die Sporangien auf Stielen entwickeln (Abb. 275a, b). Sie sind weltweit verbreitet und kommen häufig auf sich zersetzenden organischen Substraten vor (Olive 1967,1975; Spiegel 1991, Spiegel et al. 2007). Allerdings wurden sie nur selten beoabachtet oder isoliert.
Arten der Gattung Dictyostelium sind kosmopolitisch vorkommende Bodenbewohner mit sozialen Amöbenstadien. Dictyostelium discoideum ist einer der bekanntesten eukaryontischen Modellorganismen.
Abb. 273: Stark vereinfachte Hypothese zur Phylogenie der Mycetozoa, Schleimpilze mit repräsentativen Gattungen. Gelb unterlegt – Hellsporer, grau unterlegt – Dunkelsporer. Kombiniert und verändert nach Fiore-Donno et al. (2005, 2008, 2013) und Kretschmar et al. (2016).
Schlauch-, geweih- bis wabenförmige Thalli werden von Ceratiomyxa fruticulosa gebildet (Abb. 275c, s. oben). Aus ihnen ragen stiftförmige Fortsätze hervor, die einsporige Sporangien tragen (Abb. 275d). Das kann typologisch so interpretiert werden, dass eine riesige Kolonie von protosteliden Mycetozoen aus einem gemeinsamen Thallus synchron sporuliert.
Die beiden in der heimischen Flora vorkommenden Clastoderma-Arten sind offensichtlich Rindenspezialisten und können von solchen Substraten am besten in feuchten Kammern zum Fruktifizieren angeregt werden (Abb. 275e). Bei solchen Kulturansätzen kommen oft mehrere Schleimpilze unterschiedlicher Gattungen und Verwandtschaften gleichzeitig zum Vorschein.
Auch Arten der Gattung Echinostelium (Abb. 275f) sind weitgehend von Rindenkulturen bekannt geworden. Auch ihre Fruchtkörper sind mikroskopisch klein.
Abb. 274: Plasmodien von Schleimpilzen: a Fuligo septica hebt den Deckel einer Joghurtdose und kriecht heraus; b Plasmodium eines Schleimpilzes. a Venezuela, Mérida, 14.1.1969; b Tübingen, Schönbuch, 23.10.1987. Orig.
Abb. 275: Auswahl von Mycetozoa, Schleimpilze: a, b Protostelium spp.; c, d Ceratiomyxa fruticulosa, Pfeil einsporige Sporangien; e Clastoderma debaryanum; f Echinostelium minutum. a, b Oberjoch, 9.9.1985; c, d Oberjoch, Iseler, 1.9.1984; e Präparat A. Kries, Oberjoch, 2.2.2005; f Zeichnung, Oberjoch. Orig.
Abb. 276: a, b Tubifera ferruginosa, a Sammelfruchtkörper mit vielen Sporangien auf einem gemeinsamen Stiel; b REM-Aufnahme einer Spore mit netzartigem Ornament; c-f Enteridium lycoperdon auf einem Apfelbaum (c Pfeil); d, e Aethalien; f Sporen und Teil des Pseudocapillitiums, μm-Meßskala. a, b Venezuela, Mérida, 11.1969; c-f Tübingen, Hagelloch, 9.6.2005. Orig.
Abb. 277: Entwicklungsstadien von Lycogala epidendron: a, b junge Stadien der Sammelfruchtkörper; c reife Fruchtkörper; d aufgerissener Fruchtkörper mit frei liegender Sporenmasse. a TüBG, Tropicarium, 5.4.2006; b Tübingen, Schönbuch, 9.10.2002 und 10.1984; d Venezuela, Mérida, Laguna Negra, 22.11.1968. Orig.
Der Gruppierung der Mycetozoa nach hell- und dunkelsporigen Taxa entsprechen auch molekularphylogenetischen Analysen (Abb. 273).
Zu den Hellsporern, (Lucisporidia, Fiore-Donno et al. 2013) werden auch Arten der weltweit verbreiteten Gattung Tubifera (Abb. 276a, b) gerechnet, deren Sporenfarbe in Masse rostbraun erscheint. Nach einer neuen Bearbeitung werden 11 Arten unterschieden (Leontyev et al. 2015).
Die in heimischen Wäldern bei geeigneten Witterungsbedingungen häufig fruktifizierende Art Lycogala epidendron (Abb. 277a-d), ist ein Kosmopolit. Ihr Fruchtkörper wird als „Verschmelzungsprodukt“ von Einzelsporangien gedeutet und als Aethalium bezeichnet. Auffällig sind die Farbänderungen während der Reifung. Als „Pseudocapillitium“ wird ein lockeres, röhriges und offensichtlich fragmentarisch ausgebildetes steriles Netzwerk benannt.
Eine andere Lebensstrategie verfolgt Enteridium lycoperdon (Abb. 276c-f). Dieser Schleimpilz bevorzugt frei stehende Bäume, nicht selten in Obstgärten, an denen sich exponiert und in mehreren Metern Höhe, Plasmodien und nachfolgend auffällig große Fruktifikationen entwickeln. Bei deren Reife wird durch Aufreißen der Peridie (Abb. 276e) die braune, stäubende Sporenmasse freigelegt.
Abb. 278: Trichiales: a-d Schema von Fruchtkörpern der Trichia-Verwandtschaft von sitzend zu gestielt und von einzelnen Sporocarpien zu zusammengelagerten, a Trichia scabra, b Trichia favoginea, c Hemitrichia calyculata, d Metatrichia vesparium; e Hemitrichia calyculata; f Hemitrichia serpula; g Trichia sp.; h-j Trichia favoginea, h LIM und i REM des Capillitiums, j REM eines Teils der Sporenoberfläche; k Arcyria stipata; l, m Arcyria cinerea; n Arcyria incarnata; e, g Venezuela, Mérida, Paramo de Piñango, 16.3.1969; f Australien, New South Wales, 15.8.1981; h-j Venezuela, Mérida, Paramo de Mucubachi, 11.10.1968; k Tübingen, Schönbuch, 22.10.2006; l, m Venezuela, Mérida, Barinitas 12.9.68; n Grünwald bei München, 11.11.1967. Orig.
Die morphologisch ähnlichen und molekularphylogenetisch nah verwandten Trichia- und Arcyria-Arten werden zu den Trichiales zusammengefaßt (Abb. 278).
Diese Hellsporer besitzen ausgeprägt strukturierte Capillitien (Abb.278h, i, n) und häufig charakteristisch ornamentierte Sporen (Abb. 278j).
Drei Baupläne und Gruppierungen von Trichia-Fruchtkörpern sind schematisch dargestellt (Abb. 278a-d) und werden durch weitere Abbildungen ergänzt:
Einzelfruchtkörper sitzend, z.B. Trichia scabra;
sitzende Fruchtkörper zusammengelagert, z.B. Trichia favoginea, Trichia sp. (Abb. 278g);
Einzelfruchtkörper gestielt, z.B. Hemitrichia calyculata (Abb. 278e);
gestielte Fruchtkörper zusammengelagert, z.B. Metatrichia vesparium.
Außerdem kommen netzartig verzweigte, sitzende Fruktifikationen vor (Trichia serpula, Abb. 278f).
Die Unterscheidung von Trichia- und Arcyria-Arten basiert traditionell auf morphologischen Merkmalen. Populationsgenetische Studien an Trichia varia konnten jedoch reproduktiv isolierte Gruppierungen, „Biospecies“ genannt, nachweisen (Feng and Schnittler 2015).
Zuallermeist fruktifizieren Trichiales-Arten auf Holz unterschiedlichen Zersetzungsgrades. Von diesen Substraten können Plasmodien auf andere Unterlagen, wie z.B. Moose, auswandern und auf diesen Fruchtkörper bilden.
Abb. 279: Dunkelsporige Myxomycetes: a-c Stemonitis fusca, a dicht stehende Fruchtkörper; b, c REM-Aufnahmen von Capillitium und Sporen, in (b) mit zentraler Capillitium-Achse; d Lamproderma columbinum; e Physarum cinereum; f Leocarpus fragilis; g Fuligo septica, junge Fruktifikation auf Rindenmulch. a-c Oberjoch, 30.9.1994; d Schwarzwald bei Freudenstadt, 8.11.1965; e Oberjoch, 20.9.1991; f Beuerberg-Seeshaupt, Nonnenwald, 19.9.1963; g Bonn, Spemann Haus, 14.7.1997. Orig.
Von den dunkelsporigen Myxomyceten wurden Clastoderma und Echinostelium bereits erwähnt (s. oben).
Zu den Stemonitales werden u.a. die Gattungen Stemonitis (Abb. 279a-c) und Lamproderma (Abb. 279d) gerechnet. Stemonitis-Arten besitzen eine durchgehende, zentrale Capillitiumachse (Abb. 279b). Sie fruktifizieren bevorzugt auf Moderholz, aber auch auf Rinde und Laub. Die meisten Arten sind weltweit nachgewisen, auch wenn es sich um sporadische und weit voneinander liegende Vorkommen handelt. Mehrere Stemonitis-Species sind nur von wenigen Aufsammlungen, oder nur von Typus-Belegen bekannt. Solche Beispiele entziehen sich einer ökologischen und geographischen Charakterisierung.
Lamproderma-Arten sind durch häutige, irisierende Peridien (Abb. 279d) und nur partiell die Sporocarpien durchziehende Columellen ausgezeichnet, von deren Spitzen zumeist die Capillitien austrahlen.Vereinfacht lassen sich zwei ökologische Anpassungen unterscheiden: Nivicole Species, die am Rande schmelzenden Schnees fruktifizieren und Arten, die meist spät im Jahr an dauerfeuchten, schattigen und zumeist kalkfreien Gesteinen über Moosen wachsen (Abb. 279d).
Mucilago crustacea ist der Vertreter einer monotypischen, kosmopolitsch verbreiteten Gattung, die gebietsweise, wie in Mitteleuropa, bevorzugt in Grasvegetationen auftritt.
Abb. 280: Diderma spp.: a-d Diderma spumarioides auf Laub von Hedera helix, Efeu, a Plasmodium; b Fruchtkörperbildung; c reife Fruchtkörper; d Reste alter Fruchtkörper; e Diderma niveum, Peridie teilweise abgebröckelt. a-c Tübingen, Hagelloch, 10.9.2014; e Venezuela, Mérida, 2.12.1968. Orig.
Die durch zweischichtige Peridien (Name!) ausgezeichneten Diderma-Arten (Abb. 280) erscheinen ontogenetisch und ökologisch divers. Einige Arten, wie D. alpinum, D. deplanatum, oder D. effusum, können aus der Plasmodialphase, ohne typische Fruchtkörperbildung, direkt in die Sporulation übergehen (Plasmodiocarpie). Während die meisten Diderma-Arten vom Sommer bis Herbst fruktifizieren (Abb. 280a-d), sind nivicole Arten zeitig im Jahr und in den Bereichen der Schneeschmelze in der Sporulationsphase zu finden. Zu ihnen zählen nach Neubert et al. (1995) Diderma alpinum, D. lyallii, D. microcarpum, D. nivale und D. niveum.
Abb. 281: Herabhängende Myxomyceten, Schleimpilze: a Badhamia utricularis voll fruktifizierend; b Erionema aureum, weit entwickelte Plamodiumsstränge kurz vor der Fruktifikation; a Tübingen, Schönbuch 9.1994; b Yunnan, Menglun, 8.1995. Orig.
Zu den Physaraceae werden die Gattungen Badhamia, Erionema, Fuligo, Leocarpus und Physarum gestellt, die Kalkinkrustationen in der Peridie und teilweise auch im Capillitium besitzen.
Die artenreiche, weltweit verbreitete Gattung Physarum (Abb. 279e) hat ein breites ökologisches Spektrum, das von Holz verschiedenster Zersetzungsgrade bis zu krautigen Pflanzenteilen reicht. Auch nivicole Arten, wie Physarum albescens, Ph. alpestre, Ph. alpinum, Ph. styriacum und Ph. vernum, sind darunter (Neubert et al. 1995).
Badhamia ist weltweit mit mehr als 30 Arten verbreitet. Bemerkenswert ist, dass Badhamia utricularis (Abb. 281a) und das süostasiatische Erionema aureum (Abb. 281b) vom Substrat herabhängende Fruktifikationen ausbilden.
Auch der in auffälligen Populationen auftretende Leocarpus fragilis (Abb. 279 f), die einzige im Gebiet vorkommende Art der Gattung, hat eine Tendenz zu hängenden Fruktifikationen.
Dagegen bildet Fuligo septica, die gelbe Lohblüte (Abb. 279g) ausgedehnte, großflächige Aethalien, besonders auf Rindenabfällen und Rindenmulch.
Eine exzellente Bearbeitung der „Myxomyceten Deutschlands und des angrenzenden Alpenraumes unter besonderer Berücksichtigung Österreichs“, in großen Teilen weit darüber hinausgehend, wurde von Neubert et al. (1995–2000) erstellt.
Pteridophyta, Farne und Farnverwandte im Fichtenwald
Equisetum, Schachtelhalm
Abb. 282: Equisetum sylvaticum, Waldschachtelhalm, mit Sporangienständen. Iseler, 4.6.2005. Orig.
Equisetum sylvaticum, Waldschachtelhalm
(Abb. 282) NgemZ; feuchte Wälder und Wiesen, acidophil; Indikator für saure oder versauerte Böden; auch in sauren und vernäßten Humusauflagen über Kalk; in allen Höhenlagen, außer der alpinen Stufe.
Auf Schachtelhalmen kommen keine falschen und echten Mehltaupilze, sowie keine Rost- und Brandpilze vor.
Familie der Lycopodiales (Bärlappartige Gewächse) mit 5 Gattungen und ca. 400 Arten terrestrischer oder epiphytischer, ausdauernder Kräuter, die annähernd weltweit verbreitet sind. Gametophyten knollig bis rübenartig, im Substrat wachsend, ohne Chlorophyll, mykorrhiziert, mit Antheridien und Archegonien im kronenartig abgesetzten Teil. Spermatozoiden zweigeißelig. Sporophyt kriechend bis klimmend und/oder aufrecht wachsend, mit schuppenförmigen Blättchen (mikrophyll) und zu dichten Ständen (Blüten) zusammengelagerten Sporophyllen; Sporangien den Sporophyllen aufsitzend, gleichartige und einheitliche Sporen bildend (isospor). Der Name bedeutet im Griechischen Wolfsfuß (lykos - Wolf, pódion - Füßchen).
Pilze: Auf Bärlappen kommen keine falschen und echten Mehltaupilze, sowie keine Rost- und Brandpilze vor.
Ökologie von Bärlappen, Lycopodiaceae
Tabelle 90: bevorzugte Standorte von Bärlappen im Gebiet:
Auf versauerten Nadelwaldböden und Moderstümpfe Huperzia selago, Tannenwedelbärlapp
In Schlenken von Mooren und in Torfmoossümpfen Lycopodiella inundata, Sumpfbärlapp
In Borstgras- und Zwergstrauchheiden Diphasiastrum issleri, Isslers Flachbärlapp
Auf versauerten, mageren, moorigen Böden, bis in die alpine Zone Diphasiastrum alpinum, Alpen-Flachbärlapp
An sonnigen Stellen von Vegetationsanrissen Lycopodium clavatum, Keulenbärlapp
Von Mooren über Nadelwaldböden bis zum Latschenunterwuchs Lycopodium annotinum, sprossender Bärlapp
Huperzia, Tannenwedelbärlapp, Teufelsklaue
200-300 subkosm, bes. artenreich in immergrünen Wäldern der Tropen; meist epiphytische, aber auch terrestrische Pflanzen mit aufrechten oder hängenden Trieben; Stämmchen gleichmäßig, oft dichotom verzweigt; vegetative Blättchen und Sporophylle weitgehend gleich gestaltet, daher Sporophyllstände kaum von den vegetativen Trieben unterschieden; nach Johann Huperz (De Filicum propagatione) benannt.
Pilze: Auf Bärlappen kommen keine falschen und echten Mehltaupilze, sowie keine Rost- und Brandpilze vor.
Abb. 283: Huperzia selago, Tannenbärlapp, mit Sporangien. Pfeiffermühle bei Jungholz, 1.10.1996. Orig.
Huperzia selago, Tannenbärlapp
(Abb. 283) NHem/SAm/Aus/Neus; terrestrischer bis epiphytischer Bärlapp schattiger bis lichter Standorte; bevorzugt saure Substrate, wie Moderstümpfe, Felsfluren und Rohhumusauflagen.
Abb. 284: Lycopodium annotinum, sprossender Bärlapp, mit Sporophyllständen. Jungholz bei Wertach, 8.10.1996. Orig.
Lycopodium, Bärlapp
ca. 40 bes. gemZ/tropGbg; ausdauernde, krautige Pflanzen mit kriechenden Hauptsprossen, schraubiger Beblätterung, aufrechten fertilen Trieben und mit Stielen abgesetzten Sporophyllständen (Blüten).
Lycopodium annotinum, sprossender Bärlapp
(Abb. 284) NHem; acidophiler, Humus besiedelnder Bärlapp schattiger bis halbschattiger Wälder, besonders in Nadelholzbeständen; häufigste heimische Bärlappart.
Lycopodium clavatum, Keulenbärlapp
(Abb. 284) NHem/SHem; acidophiler Bärlapp von Heiden und Waldlichtungen auf nährstoff- und basenarmen Böden; oft mit Vaccinium-Arten vergesellschaftet;
Abb. 285: Lycopodium clavatum, Keulenbärlapp. Oberjoch, Iseler, 27.6.2008. Orig.
Athyrium filix-femina, Waldfrauenfarn, wurde im Buchen-Tannenwald bereits behandelt.
Blechnum spicant, Rippenfarn
(Abb. 286) NAf/Eu/As/Alas/Calif; acidophiler Waldfarn, besonders in Fichtenwäldern (Vaccinio-Piceion) aller Höhenzonen; über Kalk nur in saueren Humusauflagen; Säurezeiger.
Pilze: Wirt für den Rostpilz Milesina blechni (0, I: Abies).
Abb. 286: Bestand von Blechnum spicant, Rippenfarn, mit sterilen (unten) und fertilen Wedeln (darüber). Oberjoch, Iseler, 3.7.1997. Orig.
Dryopteris carthusiana, Dornfarn
(Abb. 287) Eu/As/NAm, in nährstoff- und basenarmen Wäldern an halbschattigen, stau- bis wechselfeuchten Standorten, meist nur bis in die montanen Lagen.
Abb. 287: Sori auf der Fiederchen-Unterseite von Dryopteris carthusiana, Dornfarn. Oberjoch, Iseler, 20.7.1993. Orig.
Dryopteris dilatata, breitblättriger Wurmfarn
(Abb. 288) NHem, schattenliebender Farn des Moder- und Mullhumus krautreicher, montaner Misch- und Nadelwälder, besonders im sauren Fichtenwald (Vaccinio-Piceion).
Abb. 288: Alter Wedel von Dryopteris dilatata, breitblättriger Wurmfarn. TüBG, 4.10.2008. Orig.
Pteridium, Adlerfarn
1 (6-?) subkosm; sommergrüner Farn mit lang kriechendem, verzweigtem Rhizom, von einander entfernten, lang gestielten Blättern mit dreifach gefiederten Spreiten; Sori randständig, von umgebogenen Blatträndern bedeckt; Anulus aus ± 13 Zellen; Name: Griech. ptéris - Farn, -idium - Diminutivendung.
Pilze: Gallen durch den Chytridiomyceten Synchytrium phegopteridis hervorgerufen.
Pteridium aquilinum, Adlerfarn
(Abb. 289) subkosm, tiefwurzelnder, kalkmeidender Farn; über Kalkgestein in ausgelaugten, weitgehend kalkfreien Böden; Pionierart gestörter Vegetationen, besonders auf Brandflächen, in Weidewiesen und lichten Wäldern, von den Tieflagen bis in die subalpine Zone; häufig bestandsbildend.
Abb. 289: Bestand von Pteridium aquilinum, Adlerfarn. Hinterstein, 2.7.1997. Orig.
Spermatophyta, Samenpflanzen
Avenella flexuosa, Drahtschmiele
(Abb. 290) NgemZ; auf sauren und oberflächlich versauerten, humosen bis sandigen Böden lichter Wälder, aber auch in Zwergstrauchheiden und Mooren aller Höhenstufen.
Pilze: Dikaryontenwirt (II, III) von Uromyces airae-flexuosae (Haplophase unbekannt). – Auf der Drahtschmiele sind die Brandpilze Tilletia flectens und Ustilago striiformis nachgewiesen.
Abb. 290: Bestand von Avenella flexuosa, Drahtschmiele. Plateau d’Assy bei Chamonix, 27.7.2000. Orig.
Calamagrostis, Reitgras
ca. 270 tempZ, tropGbg; ausdauernde Rispengräser mit einblütigen Ährchen, die von den Hüllspelzen eingeschlossen werden; mit Agrostis nächst verwandt, meist aber durch deutlich größere Arten und geschlossene Rispen zu unterscheiden; Name: Griech. kálamos - Rohr, agróstis - Gräsername.
Pilze: Wirte für den Grasmehltau Blumeria graminis. – Dikaryontenwirte (II, III) von Puccinia pygmaea (0, I: Berberis).
Abb. 291: Einblütiges Ährchen von Calamagrostis villosa, wolliges Reitgras. Oberjoch, Iseler, 20.7.1993. Orig.
Calamagrostis villosa, wolliges Reitgras
(Abb. 291) MEu/Balk; besonders auf Rohhumusböden und ähnlichen sauren Substraten der Zwergstrauch- und oberen Bergwaldgesellschaften des subalpinen Bereiches; Charakterart des subalpinen Fichtenwaldes (Homogyno alpinae-Piceetum) und auch typisch für die Alpenfrauenfarnflur (Calamagrostio villosae-Athyrietum distentifolii).
Pilze: Wirt für die Brandpilze Urocystis calamagrostidis, Ustilago scrobiculata, Ustilago striiformis.
Ökologie von Calamagrostis, Reitgras
Tabelle 91: Calamagrostis-Arten, Reitgräser und ihre bevorzugten Standorte:
Auf nassen Böden
Staunasse, saure Böden in Randgesellschaften von Röhricht und Ufergehölzen C. canescens, Sumpfreitgras
Überschwemmungsöden und Ufervegetationen von Fließgewässern C. pseudophragmites, Uferreitgras
Auf trockeneren Böden
Mischwälder der tieferen und mittleren Höhenlagen
Steinig-trockene, saure Böden lichter Wälder C. arundinacea, Rohrreitgras
Bevorzugt auf wasserzügigen Böden von Kahlschlägen und verbreitet ruderal C. epigejos, Waldschilf
Bergwälder und darüber
Sonnig-trockene, kalkreiche Berghänge und Flußauen C. varia, buntes Reitgras
Rohhumusböden von Hochlagennadelwäldern und Zwergstrauchheiden C. villosa, wolliges Reitgras
Abb. 292: Bestand von Corallorhiza trifida, Korallenwurz. Oberjoch, 5.6.2005. Orig.
Abb. 293: Blütenstand von Corallorhiza trifida, Korallenwurz. Oberjoch, 5.6.2005. Orig.
Corallorhiza, , Korallenwurz
15 NgemZ; kleine, weißliche, hellbräunliche bis schwach rötliche, chlorophyllose, terrestrische, wurzellose Stauden mit fleischigen, korallenartig verzweigten, mykorrhizierten Rhizomen (Name: Griech. korállion - Koralle, rhíza - Wurzel); Blätter mit Scheiden, ohne Spreiten; Infloreszenz locker-traubig, mit kurzen Tragblättern; Sporn fehlend; seitliche Sepalen nach unten gerichtet; Helm durch mittleres Sepalum und seitliche Petalen gebildet; Lippe weitgehend ungeteilt oder höchstens mit unscheinbaren Seitenlappen.
Corallorhiza trifida, dreispaltige Korallenwurz
(Abb. 292–294) NgemZ; selten im sauren, oft auch vermoosten Nadelhumus montaner und subalpiner, schattiger Nadelwälder; Charakterart von Sauerhumus-Nadelwäldern (Vaccinio-Piceetea).
Abb. 294: Wurzelstock von Corallorhiza trifida, Korallenwurz. Oberjoch, 14.7.1993. Orig.
Maianthemum, Schattenblümchen
3 NgemZ; niedrige Stauden mit dünnen, kriechenden Rhizomen, 2 basalen Schuppenblättern, aufrechten Stängeln und 2 einfachen, ovalen, herzförmigen Stängelblättern; Blüten 2zählig, weiß, in endständigen Trauben; P2+2 A2+2 G(2); Blütenblätter frei und spreizend; Stamina an der Basis der Tepalen inseriert; Beerenfrucht mit 2 Samen pro Fach; Insekten- und Selbstbestäubung; Tierverbreitung.
Pilze: Haplontenwirt (0, II) von Puccinia digraphidis (II, III: Typhoides arundinacea).
Abb. 295: Blühendes Maianthemum bifolium, Schattenblümchen. Ramsau, Hochschwarzeck, 12.6.2015. Orig.
Maianthemum bifolium, Zweiblatt
(Abb. 295) Eu/As; auf humosen, wechselfeuchten Böden von Laub- und Nadelwäldern aller Höhenlagen außer der alpinen Stufe.
Melampyrum, Wachtelweizen
ca. 35 Eu/gemAs/O-NAm; einjährige, grüne Halbparasiten mit einfachen, gegenständigen Blättern und terminalen, ährigen oder traubigen Infloreszenzen; Kelch röhrig, 4zähnig, Krone 2lippig, Oberlippe zusammengedrückt; A4, von der Oberlippe bedeckt; G(2), mit basalem Nektarium; überwiegend von Hummeln bestäubt; flache Kapseln mit 1-4 Samen (Name: Griech. mélas - schwarz, pyron - Weizen, bezieht sich auf die Samen); häufig Ameisenverbreitung. Pilze: Wirte für den falschen Mehltau Peronospora melampyri-cristati. – Wird von den echten Mehltaupilzen Erysiphe orontii (= Erysiphe polyphaga) und Podosphaera fusca befallen. – Der Rostpilz Coleosporium melampyri (0, I: Pinus; II, III: nur Melampyrum) ist gebietsweise nicht selten. Beim Zusammentreffen von Wachtelweizen und Pfeifengras ist auf Puccinia nemoralis (0, I: Melampyrum; II, III: Molinia caerulea) zu achten, ein Rostpilz, der weitgehend unbekannt ist.
Abb. 296: Blütenstand von Melampyrum pratense, Wiesenwachtelweizen. Oberjoch, Iseler, 3.7.1997. Orig.
Melampyrum pratense, Wiesenwachtelweizen
(Abb. 296) Eu/WAs/Sib; auf nährstoffarmen, sauren oder versauerten, wechselfeuchten bis feuchten Böden in Wiesen, Weiden, Mooren, lichten Wäldern, besonders in halbschattigen Lagen von den Niederungen bis in die subalpine Zone.
Abb. 297: Blütenstand von Melampyrum sylvaticum, Waldwachtelweizen. Tübingen, Hagelloch, 17.8.2013. Orig.
Melampyrum sylvaticum, Waldwachtelweizen
(Abb. 297) Eu; bevorzugt auf feuchten und sauren Böden, auf Rohhumuslagen in lichten Nadelwäldern und Latschenbeständen, aber auch in Rasen und Weiden der montanen und subalpinen Zonen; Charakterart des subalpinen Fichtenwaldes (Homogyno alpinae-Piceetum).
Abb. 298: Monotropa hypopitys, Fichtenspargel. Oberjoch, 31.8.1984. Orig.
Monotropa, Fichtenspargel
3-4 NHem; heterotrophe, bleich gelbliche Kräuter ohne Chlorophyll; Wurzeln stumpf-gedrungen mit besonderer Pilz-Symbiose (monotropoide Mykorrhiza); Sproß aufrecht, mit schuppenartigen Blättchen und nickenden, einblütigen oder traubigen Infloreszenzen (Name: Griech. monos - einzeln, tropos - Drehung) und aufgerichteten Fruchtständen; K2-5 C4-5 A4+4 oder 5+5 G(4-5); Pollen einzeln; Kapseln; Insektenbestäubung; Windverbreitung.
Monotropa hypopitys, behaarter Fichtenspargel
(Abb. 298) NHem; auf sandig-lehmigen, sauer-humosen Nadelwaldböden, besonders in Fichtenwäldern aller Höhenstufen; Charakterart von Sauerhumus-Nadelwäldern (Vaccinio-Piceetea).
Mykoheterotrophie von Monotropa
Nach Untersuchungen von Bidartondo and Bruns (2002) und Leake et al. (2004) ist die Entwicklung von Monotropa hypopitys von Pilzpartnern abhängig, die durch Arten der Gattung Tricholoma, Ritterling, gestellt werden (Tabelle 92).
ECM-Tricholoma-Arten, die mit Monotropa hypopitys assoziiert sind
Tabelle 92: Tricholoma-Arten als Mykobionten von Monotropa hypopitys und ihre ECM-Wirte:
Picea, Abies T. equestre, T. flavovirens, T. terreum
Fagus T. sejunctum
Salix T. cingulatum
Abb. 299: Blühendes Vaccinium gaultherioides, Zwergrauschbeere. TüBG, 6.5.2006. Orig.
Vaccinium, Heidelbeere, Preiselbeere
ca. 200 NgemZ/tropGeb; niedrige, immer- oder sommergrüne Sträucher an überwiegend bodensauren Standorten; Blätter wechselständig; Blüten einzeln oder in Trauben; Krone röhrig, glockig, becherförmig, aber auch gespalten; A8-10, Antheren porig öffnend, oft mit grannenartigen Fortsätzen; Fruchtknoten unterständig, Beerenfrüchte, bei mehreren Arten wohlschmeckend; Insekten- und Selbstbestäubung; Vogelverbreitung; Name nach einer alten lateinischen Bezeichnung.
Pilze: Vaccinium-Arten besitzen ericoide Mykorrhizen (ERM), die durch Ascomyceten der Gattungen Hymenoscyphus (Helotiaceae) und Rhizoscyphus (Hyaloscyphaceae) sowie von Sebacinales, Basidiomycetes (s. Anhang Sebacinales 2013), gebildet werden. – Auf Vaccinium-Wirtsarten begrenzt ist der echte Mehltau Podosphaera myrtillina. Es werden zwei Varietäten bzw. Kleinarten unterschieden, P. myrtillina s.str. auf Vaccinium myrtillus und V. vitis-idaea, sowie P. major auf Vaccinium oxycoccus, V. uliginosum und V. vitis-idaea. Der jeweilige taxonomische Status dieser Taxa ist nicht geklärt. – Dikaryontenwirte des Rostpilzes Thekopsora myrtillina (= Pucciniastrum vaccinii; Haplophase unbekannt).
Vaccinium gaultherioides (V. uliginosum ssp. pubescens), Zwergrauschbeere
(Abb. 299) Arktalp; auf sauren Böden der Zwergstrauchheiden subalpiner und alpiner Lagen.
Pilze: Exobasidium pachysporum (Abb. 300) verursacht kleine, verdickte Blattflecken, Exobasidium vaccinii-uliginosi infiziert einzelne Jahrestriebe; Zweigkomplexe werden von Exobasidium expansum befallen.
Abb. 300: Exobasidium pachysporum verursacht Blatthypertrophien auf Vaccinium gaultherioides. Iseler, 15.9.1985. Orig.
Ökologie von Vaccinium, Heidelbeere, Moosbeere, Preiselbeere, Rauschbeere
Tabelle 93: Vaccinium-Arten, Heidelbeere und Verwandte und ihre bevorzugten Standorte:
Nur in Hochmooren, zwischen Torfmoosen, bis in Schlenken reichend V. oxycoccos, Moorbeere
Auf sauren Böden und Rohhumusböden
Von tieferen bis in hochmontane und subalpine Lagen, auch in Hochmooren V. uliginosum, Rauschbeere
In allen Höhenlagen
Von lichten Moor-Randgehölzen bis in saure, subalpine Bergweiden V. myrtillus, Heidelbeere
Von Moor- über Fichtenwälder bis zu subalpinen Zwergstrauchheiden V. vitis-idaea, Preiselbeere
In subalpinen bis alpinen Lagen V. gaultherioides, Zwergrauschbeere
Vaccinium myrtillus, Heidelbeere
(Abb. 301) Eu/NAs/NW-NAm; auf kalkfreien und versauerten, sandigen oder moorigen Böden, sowie auf Rohhumusauflagen im Unterwuchs von lichten Wäldern, aber auch in exponierten Lagen von Mooren und Zwergstrauchgesellschaften aller Höhenstufen.
Pilze: Wird durch mehrere Exobasidien parasitiert: Dünne, blasse Blattflecken verursacht Exobasidium arescens (Abb. 302); einzelne Jahrestriebe werden von Exobasidium aequale infiziert; Exobasidium myrtilli wächst systemisch und bewirkt hypertrophierte Blätter.
Abb. 301: Vaccinium myrtillus, Heidelbeere. Oberjoch, 3.6.2005. Orig.
Abb. 302: Exobasidium arescens verursacht ausgebleichte Blattflecken auf Vaccinium myrtillus, Heidelbeere. Oberjoch, Iseler, 3.7.1997. Orig.
Abb. 303: Vaccinium vitis-idaea, Preiselbeere. TüBG, 6.5.2002. Orig.
Vaccinium vitis-idaea, Preiselbeere
(Abb. 303) N-NgemZ; wechselfeuchte bis trockene, überwiegend saure bis versauerte Böden, zumeist über Rohhumus in lichten Wäldern aller Höhenlagen und in Zwergstrauchheiden über der Waldgrenze; Charakterart von Sauerhumus-Nadelwäldern (Vaccinio-Piceetea).
Pilze: Wirt für die Teleutophase des Tannenrostes Calyptospora goeppertiana (0, I: Abies), der Stängel-Hypertrophien verursacht, und der in den Hochlagen-Tannenwäldern nicht selten ist. – Stark verdickte Blattflecken werden durch Exobasidium vaccinii (Abb. 304) verursacht; büschelige Jahrestriebe werden durch Exobasidium splendidum infiziert; Exobasidium juelianum bedingt Zwergwuchs.
Abb. 304: Exobasidium vaccinii mit Hymenium auf der hypertrophierten Blattunterseite von Vaccinium vitis-idaea, Preiselbeere. Oberjoch, Iseler, 2.9.1984. Orig.
Flechten und Moose werden, wie für die anderen Abschnitte auch, in Teil III gesondert behandelt.
Sturmwurfflächen und Borkenkäferepedemien
Die flächendeckenden montanen und subalpinen Fichtenforste sind menschenbedingt, ebenso wie die landwirtschaftlich genutzen Wiesen und Ackerländer. In diesen Bereich wurden alle geeigneten, natürlichen Wälder seit der intensiven Besiedelung der Alpen durch den Menschen in Fichtenforste umgewandelt (Abb. 207). Flachere Hänge mit geeigneten Böden wurden in tieferen Höhenlagen zu Fettwiesen und in subalpinen Bereichen in langen Zeiträumen zu Almwiesen entwickelt (Abb. 2, 3). Es entstanden Sekundärvegetationen mit massiv veränderter floristischer Zusammensetzung. Bemerkenswert und erstaunlich zugleich ist, dass diese neuen, anthropogenen Großökosysteme sich in vielen Bereichen, bei entsprechender Pflege, als stabil erwiesen. Fichtenforste sind Monokulturen mit einer Art Klimaxcharakter. Sie halten abiotischen Extrembelastungen nicht stand und sie sind ungeschützt gegenüber epidemiologischem Parasitenbefall.
Die Orkane „Vivian“ und „Wiebke“, die Ende Februar 1990 über Teile Mitteleuropas hinwegfegten, hinterließen in Süddeutschland und damit auch im Allgäu und der weiteren Umgebung von Oberjoch gewaltige Sturmschäden. Am 28.2.1990 hat „Wiebke“ an beiden Bergflanken von Oberjoch, dem Südhang des Ornach (Abb. 305) und dem Iseler Nordhang großflächig Fichtenbestände durch Brechen und Entwurzeln der dicht stehenden Bäume zerstört.
Abb. 305: Fichtenbestände am Ornach bei Oberjoch im Mittelgrund. Die damalige forstliche Nutzung ist durch den vertikalen Kahlschlag am Ornach verdeutlicht. Der westlich davon stockende Altbestand (im Bild links von der Schlagschneiße) wurde durch „Wiebke“ weitgehend umgelegt (vgl. Abb. 306). Die Gipfelpartie des Grünten ist im Hintergrund links zu erkennen. 10.1983. Orig.
Abb. 306: Blick vom Berghaus Iseler zum nördlich gelegenen Ornach oberhalb von Oberjoch, 21.9.1990. Die Ausmaße der Sturmschäden des Orkans „Wiebke“ vom 28.2.1990 werden deutlich. Orig
Abb. 307: Durch Borkenkäferbefall abgestorbene Picea abies, Fichten, am Rand der unvollständig geräumten Sturmwurffläche am Ornach bei Oberjoch. 18.7.1995. Orig.
Abb. 308: Blick vom Iseler auf Ornach (rechts) und Spießer dahinter. In der ehemaligen Windbruchfläche am Ornach können die jungen Bäume erkannt werden. Es ist ein Mischbstand von Gehölzen, die in einem natürlichen Bergwald vorkommen. Am rechten Bildrand befindet sich der 30jährige Jungfichtenbestand, der sich nach dem Kahlschlag (vgl. Abb. 305) Anfang der 1980er Jahre entwickelte. 21.9.2010. Orig.
In der Nachfolge der Sturmwurfereignisse gab es in den Fichtenbergwäldern mehrere Wellen von Borkenkäfer-Epidemien. Diese traten nesterweise auf und ließen die Wälder aus der Entfernung wie durchlöchert erscheinen (Abb. 309) oder breiteten sich von den Sturmwurfflächen randlich aus (Abb. 307, 310).
Abb. 309: Ehemaliger Bestand von Picea abies, Fichte, mit Sturmbruch und Borkenkäferbefall. Iseler Südhang, 15.6.2002. Orig.
Abb. 310: Im oberen Bereich der Sturmwurffläche am Ornach wurden die nordwestlich anschließenden, stehen gebliebenen Fichten vom Borkenkäfer befallen und abgetötet. Sie blieben jahrzehntelang als Baumleichen stehen und am Berggrat von Oberjoch aus stocherartig sichtbar. 28.9.2011. Orig.
Von 1990 bis 2008 haben die Tübinger Mykologen Sturmwurfflächen in Baden-Württemberg und im Allgäu (Anhänge: Sturmwurf, Sturmwurfflächen, Sturmwurfflächen Mykorrhiza, Mykologie Tübingen) sowie Bohrgänge der Borkenkäfer (Anhang Ophiostoma Picea) untersucht.
Als frühe Besiedler der liegenden Fichten trat massenhaft der Kraterpilz, Craterocolla cerasi, auf (Abb. 311). Dieser Pilz gilt als Kirschbaumspezialist, worauf der Artnachname hinweist. Es ist nicht geklärt, ob die fichtenbewohnenden Populationen dieses Pilzes mit denen von Kirschbäumen identisch sind.
Abb. 311: Fruchtkörper von Craterocolla cerasi, Kraterpilz, auf der Borke liegender Picea abies, Fichte. Ornach bei Oberjoch, 3.10.1993. Orig.
In den Bohrgängen der Borkenkäfer der Fichte in Oberjoch konnte eine bis dahin nicht bekannte Basidiomyceten-Art, Basidiopycnis hyalina, entdeckt werden, der zur Ordnung der Atractiellales der Puccinomycotina gehört (Oberwinkler et al. 2006, Abb. 312, Anhang Basidiopycnis). Dieser Pilz ist nachfolgend auch noch aus Borkenkäfer-Bohrgängen in der Schweiz und in Italien nachgewiesen worden.
Abb. 312: Basidiopycnis hyalina in Kultur. a Fruchtkörper; b Fruchtkörper längs geschnitten mit Basidien in unterschiedlichen Entwicklungsstadien; c einzelne Basidie mit sitzenden Basidiosporen; d Konidienträger, die apikal Konidien abgliedern; e Konidien. Nach Oberwinkler et al. (2006), verändert.
Neuartige Waldschäden und Ektomykorrhizen
Neuartige Waldschäden erschienen Ende der 1970er Jahre so gravierend, dass sogar prophezeit wurde, es würde 1990 in Mitteleuropa keinen Wald mehr geben.
Für diese Veränderungen, zunächst an der Tanne, dann auch an der Fichte und nachfolgend an Laubbäumen festgestellt, wurde der anthropogen bedingte, erhöhte Ausstoß an Schwefeldioxid, einhergehend mit dem sauren Regen, verantwortlich gemacht. Die „Expertenmeinungen“, dass es in den 1990er Jahren in Mitteleuropa keinen Wald mehr gäbe, wurden zu Schlagzeilen in der Tagespresse und damit zum politischen Druckmittel. Der deutsche Terminus „Waldsterben“ wurde sogar in der englischsprachigen Fachliteratur verwendet und „le Waldsterben“ fand Eingang ins Französische.
Erfreulicherweise sind nachfolgend Schwefeldioxidemissionen erheblich gesenkt worden, was sich im Verlaufe von zehn Jahren in Meßwerten deutlich zeigte.
In großen Teilen der Bevölkerung wurde durch die Waldschadensforschung mitbewirkt, dass ein kritisches Umweltbewusstsein wachgerufen wurde. In der seriösen Wissenschaft ging es allerdings um sorgfältig erhobene, reproduzierbare Daten, die begründete Interpretationen zuließen.
Derartige Forschungsvorhaben wurden vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) in koordinierten Vorhaben gefördert. Sie waren über die Bundesrepublik verteilt. Dazu im Folgenden Beispiele aus der eignen Ektomykorrhizaforschung, die jedoch nicht im Allgäu durchgeführt wurde.
Ob saure Beregnung die Mykorrhizen junger Fichten, Tannen und Buchen schädigen, wurde an vielen mitteleuropäischen Beständen und in Laborexperimenten analysiert.
Langzeiteinwirkung der Schadstoffe bewirkte Wachstumssteigerungen bei Tannenmykorrhizen, SO2 beeinträchtigte dagegen die Fichtenmykorrhizen.
Meristemschäden, die in Fichtenwurzeln durch niedrigen pH-Wert und Aluminium-Ionen ausgelöst wurden, konnten Metzler et Oberwinkler (1986) nachweisen (Anhang Fichten-Meristemschäden).
Den Einfluss des Stickstoffeintrags auf Ektomykorrhizen von Waldbäumen haben Beckmann et al. (1996, Anhang ECM-Ökofaktor) unersucht. Sie waren der Meinung, dass die Fruktifikationsraten von „Generalisten“ kaum, die von „Spezialisten“ auf Koniferen anscheinend mehr beeinflusst waren. Auch unter Kultivierungsbedingungen waren Verallgemeinerungen über negative Auswirkungen erhöhter Stickstoffkonzentrationen nicht möglich.
Die Vitalitäten von Ektomykorrhizen der Fichten wurden von fluoreszenzmikroskopisch bestimmt (Qian et al.1998a, Anhang Fichtenkalkung). Untersucht wurden Mykorrhizen von Cenococcum geophilum, Russula ochroleuca (Ockertäubling), Tylospora sp. und Xerocomus badius (Maronenröhrling), die damals nicht identifizierbaren „Piceirhiza gelatinosa“ und „P. nigra“ sowie zwei weitere, nicht benennbare Ektomykorrhizen.
Den Einfluß von Kalkung und Ansäuerung auf die Mykorrhizen in Fichtenbeständen des Höglwaldes haben Qian et al. (1998b Anhang Fichten ECM-Vitalität) studiert. Auf versauerten Flächen schienen Russula ochroleuca und Xerocomus badius als mykorrhizierende Arten gefördert, während in gekalkten Parzellen Tuber puberulum, flaumhaarige Trüffel, und „Piceirhiza nigra“ vermehrt auftraten. Statistische Absicherungen waren jedoch nicht möglich.
Die pathogenen und antagonistischen Effekte von Mikropilzpopulationen untereinander und auf Ektomykorrhizen in versauerten oder gekalkten Fichten- und Buchenwäldern wurden von Qian et al. (1998c Anhang Mykorrizapopulationen) untersucht. Das Beziehungsgeflecht dieser Bodenpilze erscheint in höchstem Maße komplex. Es ist offensichtlich für die Funktionalität der Rhizosphäre ebenso bedeutend wie abiotische Faktoren.
Pflanzengesellschaften der Fichtenwälder und –forste im Gebiet
Natürliche Fichtenwälder (Calamagrostio villosae–Piceetum) kommen in Mitteleuropa im hochmontanen und subalpinen Bereich vor, folgen also in der vertikalen Vegetationsabfolge dem Tannen-Buchenwald und sind in allen Übergängen mit diesem verzahnt.
Begleiter von Picea abies, Fichte, in natürllchen Beständen
Tabelle 94: Auswahl von Arten in einem natürlichen Bestand von Picea abies, Fichte:
Picea abies Fichte
Salix appendiculata großblättrige Weide
Rosa pendulina Gebirgsrose
Sorbus aucuparia Vogelbeere
Erica carnea Schneeheide
Lycopodium annotinum sprossender Bärlapp
Asplenium trichomanes brauner Streifenfarn
Asplenium viride grüner Streifenfarn
Dryopteris filix-mas Wurmfarn
Gymnocarpium robertianum Ruprechtsfarn
Platanthera chlorantha grünliche Waldhyazinthe
Carex alba weiße Segge
Carex digitata Fingersegge
Carex ferruginea Rostsegge
Carex flacca blaugrüne Segge
Carex montana Bergsegge
Carex ornithopoda Vogelfußsegge
Carex sylvatica Waldsegge
Calamagrostis varia buntes Reitgras
Aconitum vulparia Wolfseisenhut
Aquilegia atrata schwarzviolette Akelei
Silene vulgaris Leimkraut
Oxalis acetosella Sauerklee
Arabis jaquinii glänzende Gänsekresse
Vaccinium myrtillus Heidelbeere
Globularia cordifolia herzblättrige Kugelblume
Pinguicula alpina Alpenfettkraut
Thymus polytrichus Alpenquendel
Valeriana montana Bergbaldrian
Adenostyles alpina kahler Alpendost
Carduus defloratus Alpendistel
Petasites paradoxus Alpenpestwurz
Senecio alpinus Alpengreiskraut
Tolpis staticifolia grasnelkenblättriges Habichtskraut
An schwer zugänglichen Hängen, in Schluchten und in Schutzgebieten, sind Relikte naturnaher bis natürlicher Fichtenbestände erhalten geblieben. Im alten Bergsturzbereich des Vilsalpsee-Talschlusses ist ein lichter Fichten-Bergwald mit reichlicher Krautflur ausgebildet (Abb. 313), der einem Kalkblock-Fichtenwald, Asplenio-Piceetum, entspricht. Repräsentative Pflanzenarten sind in Tabelle 90, ausgewählte Moose und Flechten in Teil III enthalten.
Bei genauerer pflanzensoziologischer Differenzierung können über Kalk- und Dolomitgesteinen der Alpendost-Fichtenwald, Adenostylo glabrae-Piceetum, und der subalpine Fichtenwald, Homogyno alpinae-Piceetum, zusätzlich unterschieden werden.
Die fließenden Grenzen zeigen sich in den unteren und mittleren Höhenlagen des Alpendost-Fichtenwaldes, in denen Fagus sylvatica, Rotbuche, und Acer pseudoplatanus, Bergahorn, hinzukommen.
Der subalpine Fichtenwald kommt in ähnlicher Artenzusammensetzung über karbonatischen und silikatischen Gesteinen bis zur Waldgrenze vor. Offensichtlich wirken ausreichende Lagen von Nadelstreu als Abpufferung gegen Karbonationen. Entsprechend stocken in diesen Hochlagenwäldern ausgedehnte Bestände von Vaccinium myrtillus, Heidelbeere (Abb. 301), und Vaccinium vitis-idaea, Preiselbeere (Abb. 303), sowie von Avenella flexuosa, der Drahtschmiele (Abb. 290).
Durch forstliche Maßnahmen sind die natürlichen Fichtenwälder sowie Bergmischwälder weiträumig in Fichtenmonokulturen umgewandelt worden (Abb. 207). Diese sind bei dichten Baumbeständen in der Krautschicht zumeist artenarm.
Abb. 313: Natürlicher Fichtenbestand in der Felsblockflur des Talschlusses südlich des Vilsalpsees, 2.7.1992. Orig.
Fichtenwälder – Zusammenfassung
● ursprünglicher Klimaxwald im hochmontanen und subalpinen Bereich des Gebietes
● Ektomykrrhizavegetation
● großflächig durch Fichtenforste ersetzt
● an verflachten Hängen durch Almwiesen und Weiden stark reduziert
● gravierende Schädigung der Fichte in Monokulturen durch Heterobasidion annosum, Wurzelschwamm
● massive Bestandsschädigungen der Fichte in Monokulturen durch Sturmereignisse
● durch Großmaschinen im Forstbetrieb erhebliche Bodenverdichtungen und Rückeschäden