Artenschutz, Biotoperhalt und Erhaltungskulturen
Obwohl Artenschutz Biotoperhalt bedeutet, wie im gleichnamigen Anhang „Artenschutz Biotoperhalt“ erläutert wird, sind die Bemühungen botanischer Gärten, Erhaltungskulturen von gefährdeten Arten zu vermehren, wünschenswert und sinnvoll.
Biotoperhalt
Das Teilrevier Wacholderheide der garteneigenen „Schwäbischen Alb“ ist trotz anthropogen bedingter Sekundärvegetation ein schützenswerter Lebensraum, der vor Anlage des neuen botanischen Gartens auf der Morgenstelle großflächig existierte. Wacholderheiden sind auch auf der „natürlichen schwäbischen Alb“ zumeist Sekundärvegetationen, die wegen ihrer kulturgeschichtlichen Entwicklung und ihrer floristischen Besonderheiten großenteils unter Landschafts- oder Naturschutz gestellt wurden. Der Erhalt von Wacholderheiden ist nur wie bei historischer Nutzung durch Beweidung oder aber durch Pflegemaßnahmen gewährleistet. Letzteres entspricht den Arbeiten im Botanischen Garten und im Orchideenreservat.
Ein lichter Kiefernwald grenzt westlich an das Arboretum, gehört aber nicht zum eigenen Gebiet. Nur durch die gärtnerische Pflege konnte sich in diesem topographisch begünstigten Kleinareal im Verlauf von Jahrzehnten ein Reservat heimischer Orchideen entwickeln. Darauf wurde bei der Vorstellung des Arboretums bereits eingegangen.
Der Alpenpflanzen-Lehrpfad am Berghaus Iseler in Oberjoch wurde von Gärtnern des Tübinger Botanischen Gartens 1976-77 angelegt. Er verläuft durch zwei schützenswerte, subalpine Vegetationen, eine natürlich bewaldete Gebirgsbachschlucht und eine durch historische Nutzung bedingte Almwiese. Die gärtnerische Pflege dieser Lebensräume garantierte über 36 Jahre den Erhalt der dort heimischen Lebewesen. Darauf wird im Absatz „Botanischer Lehrpfad am Berghaus Iseler in Oberjoch“ und in mehreren Anhängen „Oberjoch ... “ ausführlich eingegangen.
Durch praktische Erfahrung überzeugt, hatten sich die Tübinger Gärtner Gerhard Bialas, Werner Dittrich, Emil Fuhrer und Joachim Richter in ihrer Freizeit an der Skipisten-Begrünung im Allgäu beteiligt. Natürlich lag es ihnen daran, standortsgemäßes Saatgut, also Samen von jeweils alpinen, subalpinen und hochmontanen Arten, zu verwenden. Das lebendgebärende Alpenrispengras, Poa alpina var. vivipara, wurde 1983-84 sogar in großem Umfang in Tübingen angezogen, 1985 am Fürschießer bei Oberstdorf zur Primärbegrünung alpiner Vegetationsschäden ausgepflanzt.
Das Für und Wider der Skipisten-Begrünung führte nach Vorträgen der heimischen Befürworter zu heftigen Diskussionen. Eine Artenauswahl der Pistenpflanzen am Berghaus Iseler ist im Anhang „Oberjoch Skipisten“ zusammengestellt.
Lokaler Arterhalt
In der Tübinger Flora sind mehrere Arten ob ihrer ungewöhnlichen Vorkommen und ihrer Seltenheit besonders schützens- und damit erhaltenswert. Dazu gehören die pannonische Platterbse, Lathyrus pannonicus, und der behaarte Spitzkiel, Oxytropis pilosa. Auch der Mäuseschwanz, Myosurus minimus, der Breitsame, Orlaya grandiflora, und der Faserschirm, Trinia glauca, besonders seltene Arten der schwäbischen Alb, haben im Pannonikum-Revier des Tübinger Gartens einen standortsgemäßen Überlebensraum (siehe Anhänge „Pannonikum“, „Lieblingspflanzen 6. Orlaya grandiflora“).
Regionaler Art- und Sortenerhalt
Unter den Nutzpflanzen wurde im Tübinger Garten den heimischen Sorten von Apfel (Malus), Pflaume, Kirschpflaume und Schlehe (Prunus) sowie der Weinrebe (Vitis) Raum für ihren Erhalt gewährt. Darauf wurde oben bereits in den Abschnitten „Arboretum“, „Steinobst-Kulturen“ und „Weinberg“ hingewiesen. Zusätzliches ist in den Anhängen „Arboretum Apfelsorten“ und „Weinberg Rebsorten“ zu erfahren.
Überregionaler Arterhalt
Das nur noch in Kultur erhaltene Teegewächs, den Franklin-Baum, Franklinia alatamaha, haben wir unter den nordamerikanischen Kleingehölzen, wo dieser im Tübinger Garten angepflanzt ist, schon kennengelernt. Es ist eines der sehr bekannten Beispiele für Arten, die in der Natur verschwunden sind und nur durch Kultivieren vor dem Aussterben bewahrt blieben.
Zufälliger Arterhalt
Eine besondere Rarität der judikarischen und Bergamasker Alpen, den Spinnweben-Steinbrech, Saxifraga arachnoidea, hatte ich auf zwei Studentenexkursionen im Val di Lorina zwischen Gardasee und Iseosee, gesehen. Im Winter 2005/6 tauchte er (Abb. 115) in der Anzucht von Penstemon rupicola im Tübinger Garten auf. Es ist bekannt, dass diese äußerst seltene Art die künstlichen Standorte im Halbschatten von Anzuchtäusern, unter den Tischen bevorzugt, weil diese ihrem natürlichen Halbhöhlen-Dasein am besten entsprechen.
Abb. 115: Spinnweben-Steinbrech, Saxifraga arachnoidea. Orig. 25.2.2006.