Vorwort
Abb. 2: Berghaus Iseler in Oberjoch mit Nordhang des Iseler. 2.6.2005. Orig.
Ein Glücksfall für Mitarbeiter, Studierende und Wissenschaftler der Universität Tübingen, im besonderen für Biologen und Geologen, war der Erwerb des Berghauses Iseler (Abb. 2) in Oberjoch 1975 durch Präsident Adolf Theis. Dieses Anwesen wurde durch Vermittlung des Tübinger Altoberbürgermeisters Hans Gmelin der Universität angeboten.
Damals habe ich dem Präsidenten empfohlen, bei der Hausnutzung den Lehrveranstaltungen Priorität einzuräumen. Entsprechend wurde das Berghaus ein Studienhaus und das großartige umgebende, universitätseigene Gelände ein grandioser Alpengarten, auch wenn wir diesen nur „Lehrpfad“ nannten.
Auf meine Veranlassung haben unsere Gärtner ein kleines Alpinum und den Steig durch die schluchtartige Bacheintiefung am Iseler-Nordhang und die Almwiesen oberhalb des Berghauses angelegt und ausgeschildert, ähnlich wie in unserem ökologischen Alpinum in Tübingen.
Selbstverständlich war dies für den Tübinger Gartenbetrieb eine Zusatzbelastung (Abb. 3). Der Erfolg, den wir mit dieser Einrichtung im Allgäu für sehr viele Studierende und ungezählte Berg- und Pflanzenliebhaber hatten, rechtfertigte allerdings den Aufwand in hohem Maße. Für mich ist das Berghaus Iseler-Gelände ganz einfach die Außenstation des Tübinger Botanischen Gartens gewesen, so wie es der Schachen an der Zugspitze für den Münchner Garten seit langem und immer noch ist, oder die Schynige Platte für den Berner Garten, eine alpine Krone.
Abb. 3: Pflegearbeiten durch Gärtner des Botanischen Gartens Tübingen am Nordhang des Iseler oberhalb des Berghauses Iseler. Oberjoch, 24.9.2007. Orig.
Die gärtnerischen Arbeiten und damit einhergehende Erfahrungen hatten sich auch für das Tübinger Alpinum und den Garten insgesamt vorteilhaft ausgewirkt. Die Begeisterung unserer gärtnerischen Mitarbeiter bei der Einrichtung der Berghaus-Iseler-Anlage war nicht nur vor Ort spürbar, sie hat in Tübingen im Garten und in der Belegschaft weitergewirkt.
Durch die von uns Tübinger Botanikern und Mykologen seit 1976 regelmäßig in ein- bis zweiwöchigen Gelände- und Praktikumsübungen im Umfeld von Oberjoch und Iseler und die im Berghaus Iseler abgehaltenen Lehrveranstaltungen für Studierende der Biologie haben über die Jahre hinweg umfangreiche Lehrmaterialien und Forschungsergebnisse entstehen lassen. Diese wurden von mir 1994 und 2000 in Buchform als Korrekturversion einer Flora von Oberjoch „Höhere Pflanzen und ihre Pilze - Samenpflanzen und Farne und mit ihnen vergesellschaftete Pilze“ zusammengefaßt. Dies ist als Anhang Oberjochflora verfügbar. Viele der darin enthaltenen Samenpflanzen, Farne und Pilze werden nun in weiteren Anhängen abgebildet, die mit diesem Text verlinkt und blau gekennzeichnet sind. Noch nicht fertiggestellte Anhänge sind rot markiert. Im Anhang Mykologie in Tübingen werden unsere Forschungsergebnisse für den Zeitraum 1974-2011 dargestellt. Dabei werden vielfach Hinweise auf Gelände- und Laborarbeiten in Oberjoch gegeben. Die in dieser Rückschau verwendeten Texte, Zusammenstellungen und die meisten Photos sind von 1976 bis 2008 entstanden, die, aus unterschiedlichen Gründen, nicht alle aus dem Bearbeitungsbiet stammen. Sämtliche sind die Originale des Autors. Ausnahmen werden zitiert.
Für die Areale von Arten und Gattungen werden Gebietsabkürzungen verwendet.
Im fortlaufenden Text werden keine Autoren für Arten und Gattungen verwendet. Diese sind für eine alphabetisch geordnete Liste aller Taxa in Teil II vorgesehen.
Unter negativem Vorzeichen wird der Verkauf des Berghauses Iseler im Teil II behandelt.
Darstellung
Die Darstellung komplexer organismischer Abhängigkeiten von Pflanzen und Pilzen und ihrer Auswirkungen auf die Vegetionsentwicklung erfordert eine vereinfachte Gliederung des Stoffes. Es wurde eine Anwendung gewählt, die der mykobiontischen Nährstoffversorgung erste Priorität zugesteht. Dies ergibt sich zwingend aus den globalen Großvegetationseinheiten. Für die überwiegenden Bereiche der Waldgesellschaften der nördlichen Hemisphäre sind dies die Ektomykorrhiza-Klimaxvegetationen. Dazu werden folgende Abkürzungen verwendet:
ECM – Ektomykorrhiza
AMF – arbuskuläre Mykorrrhiza
ERM – ericoide Mykorrhiza
ORM – Orchideenmykorrhiza
Für das behandelte Gebirgsgebiet bot sich an, die vertikale Gliederung der Vegetationseinheiten zu wählen:
Ektomykorrhizierte Bäume des Buchen-Tannen-Mischwaldes und der Bergwälder
Fichtenwälder und –forste
Kiefer-Trockenwälder
Latschengürtel
Moorbirken- und Moorsporken-Ektomykorrhiza-Vegetationen
Auwälder und Ufervegetationen
Flußbegleiter
Grünerlengebüsch
Lärchen- und Zirbenwälder
Alpine Zwergstrauchgesellschaften
Innerhalb dieser Großkapitel werden ECM-Baumgattungen, in der Reihenfolge
Nadelbäume – Laubbäume, z.B.:
Abies, Tanne
Fagus, Buche
Quercus, Eiche
als roter Faden verwendet und in das Inhaltverzeichnis übernommen.
Es folgen arbuskulär mykorrhizierte Gehölze, wie beispielsweise:
Taxus, Eibe
Sorbus Eberesche
Ulmus, Rüster
Krautige Pflanzen dieser Vegetationseinheiten werden ebenfalls in vereinfachter systematischer Anordnung gelistet:
Farne – Einkeimblättrige – Zweikeimblättrige
(vgl. Abb. 11 für Angiospermen, Bedecktsamer, und „Phylogenetisches Sytem der Angiospermen“ im Anhang System)
Anordnung der Pflanzenarten:
ECM-Bäume
AVM-Bäume
Weitere Gehölze
Farne
Einkeimblättrige Arten
Zweikeimblättrige Arten
Hahnenfuß-Verwandtschaft
Rosen-Verwandtschaft
Nelken-Verwandtschaft
Astern-Verwandtschaft
Für die Systematik und Phylogenie der Hauptgruppen der Pilze sind knappe Übersichten im Vorspann zu finden. Weitere verwandtschaftliche Gruppen finden sich bei ihren Hauptwirten, wie etwa:
Tremellomycetes
Hymenochaetales
Leotiomycetes
Schließlich werden in tabellarischen Übersichten die Ökologie der Pflanzen, wie etwa bei Carex oder Ranunculus, aber auch die Wirtsspezifitäten von ECM-Pilzen und Parasiten, gegenübergestellt.
In der Abfolge der mit Pflanzen assozierten Pilze werden die Mykorrhizabildner zuerst und die Parasiten und saproben Arten nachfolgend behandelt. Wenn möglich, werden dabei Organspezifitäten in der Reihung
Blätter – Äste und Stamm – Bodenbewohner,
berücksichtigt.
Für Flechten und Moose ist Band III vorgesehen.
Ökologisches Artkonzept
Arten einer Gattung lassen sich nicht nur durch morphologische Merkmale unterscheiden. Oft sind sie an bestimmte Lebensräume so ausgeprägt angepaßt, daß sie nur dort vorkommen können und demnach entsprechend ihren ökologischen Standortsansprüchen charakterisiert werden können. Diese Eigenschaften können mit dem Begriff "ökologisches Artkonzept" zusammengefaßt werden Von den vielen Gattungen seien zur Erläuterung nur zwei, Labkraut und Glockenblume herausgegriffen. Andere Beispiele werden bei der Besprechung von Vegetationseinheiten berücksichtigt.
Das rundblättrige Labkraut, Galium rotundifolium, ersetzt im Nadelwald den Waldmeister, Galium odoratum, eine weitverbreite Art des Laubmischwaldes. In Fettwiesengesellschaften ist das Wiesenlabkraut, Galium mollugo, häufig, während in Trockenrasen das niedere Labkraut, Galium pumilum, zuhause ist. In Feuchtwiesen stellt sich dagegen das nordische Labkraut, Galium boreale, ein. In Sümpfen und Mooren finden sich Sumpflabkraut, Galium palustre, und Moorlabkraut, Galium uliginosum. In den gestörten Vergesellschaftungen der Äcker und Brachstellen ist das Klebkraut, Galium aparine in der Konkurrenz wenig bedrängt und verbreitet. Es ist jedoch nicht an Hochlagen angepaßt und daher findet es sich nicht in den offenen Vegetationen alpiner Felsfluren. Hier hat das ungleichblättrige Labkraut, Galium anisophyllum, sein zuhause, und an Kalk- und Dolomitfelsen wächst schließlich das Schweizer Labkraut, Galium helveticum.
Unter den Glockenblumen siedelt die nesselblättrige Glockenblume, Campanula trachelium, im Unterwuchs verschiedenartiger Wälder und toleriert dabei durchaus auch schattigere Standorte, ganz im Gegensatz zur pfirsichblättrigen Glockenblume, Campanula persicifolia, die in lichten, locker bestockten und warmen Wäldern gedeiht und von dort durchaus in die benachbarten Wiesengesellschaften von Halbtrocken- und Trockenrasen eindringt. Hier findet sie sich in der Nachbarschaft der Knäuelglockenblume, Campanula glomerata und der Ackerglockenblume, Campanula rapunculoides. Dagegen bevorzugt die Wiesenglockenblume, Campanula patula ganz auffällig die nährstoffreicheren Fettwiesen. Kalkhaltige Alpenmatten werden von der stattlichen, reich- und gelbblütigen Straußglockenblume, Campanula thyrsoides geziert. Gegendeweise ist sie reichlich anzutreffen, dafür fehlt sie aber des öfteren, auch an geeignet erscheinenden Standorten, weiträumig. Viel häufiger ist die blaublütige Scheuchzers Glockenblume, Campanula scheuchzeri, in den Wiesen der alpinen und subalpinen Zonen zu finden, auch wenn sie die kalkärmeren Bereiche zu bevorzugen scheint. Kalkmeidend ist offensichtlich die bärtige Glockenblume, Campanula barbata, in artenreichen Matten mit ausreichenden Humuslagen, die den kalkhaltigen und dolomitischen Untergrund ausreichend abpuffern können. Dagegen würden wir die Alpenglockenblume, Campanula alpina, vergeblich in unserem Gebiet suchen. Sie ist strikt an silikatische Substrate angepaßt und damit ein wesentliches Element in sehr ähnlichen Pflanzengesellschaften der Zentralalpen. So formenreich wie auch unwählerisch erscheint der Formenschwarm von der Campanula rotundifolia (rundblättrige Glockenblume), die aber doch steinige oder felsige Standorte benötigt, offensichtlich in Ermangelung einer ausreichenden Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Anwärtern an weniger exponierten Stellen. "Formenschwarm" soll hier andeuten, daß die "Art" eine "Sammelart" ökologisch unterschiedlich spezialisierter "Kleinarten" darstellen mag. Dagegen ist die kleine Glockenblume, Campanula cochleariifolia, ganz eindeutig eine Art der Kalk- und Dolomitfelsen und -fluren aller Höhenlagen.
Nacheiszeitliche Vegetationsentwicklung in Mitteleuropa
Nach dem Maximum der Vereisung der Würmeiszeit vor ca. 20.000 Jahren entwickelte sich in Mitteleuropa eine Tundrenvegetation ohne Wälder. Mit einem deutlichen Temperaturanstieg vor etwa 12.500 Jahren, dem Beginn der Alleröd-Wärmezeit, entstand der Birken-Kiefern-Wald als Klimaxvegetation. Es folgte eine erneute Klimaverschlechterung, welche die baumarme, jüngere Tundrenzeit in einem Zeitraum vor 11.000-10.000 Jahren. Der Übergang zur frühen Wärmezeit, dem Boreal (vor 10.000-8000 Jahren) ist erneut durch einen Kiefern-Birkenwald gekennzeichnet, der aber schnell durch den wärmeliebenderen Hasel-Kiefern- und Hasel-Wald abgelöst wurde. Dem Boreal folgte die "Mittlere Wärmezeit", das Atlantikum, das vor 8000 Jahren begann und etwa vor 5000 Jahren zu Ende ging. Während dieser Zeit dominierte der Eichenmischwald als Klimaxvegetation. In ihm stockten neben den Eichen unter anderen auch die anspruchsvolleren Linden und Eschen. Dieser Wald setzte sich auch in die späte Wärmezeit, das Subboreal fort, das die Zeit von 5000-2500 Jahren umspannte. Die Buche konnte sich immer mehr durchsetzen; es entstand der Eichen-Buchenwald, der sich schließlich in der Nachwärmezeit des Subatlantikums zu einem Buchenmischwald weiter entwickelte. Er bildet seit mehr als 2000 Jahren in tieferen und mittleren Höhenlagen Mitteleuropas die natürliche Schlußgesellschaft. In diesen Bereichen kam die Fichte nicht vor. Sie wurde erst durch forstliche Maßnahmen großflächig eingeführt.
Pflanzenvergesellschaftungen
Entsprechend ihrer ähnlichen oder gleichen ökologischen Anpassungen finden sich Arten mit hoher Konstanz in Vergesellschaftungsgruppierungen zusammen. Als wichtigste Vegetationseinheiten werden die Assoziationen verstanden. Sie lassen sich durch Charakterarten (Kennarten) umschreiben. Finden sich mehrere Kennarten einer Assoziation vereint, so ist es zumeist leicht sie zu erkennen. Differentialarten (Trennarten)) eignen sich zur Unterscheidung von Einheiten innerhalb einer Assoziation. Sie treten daher auch nicht in all ihren Teilbereichen auf. Andererseits sind sie durchaus in verschiedenen Assoziationen zu finden. Arten ohne gesellschaftsspezifische Bindungen werden als Begleiter bezeichnet. Schließlich kann eine Assoziation noch zufällig auftretende Arten enthalten, deren Herkünfte verschiedene Ursachen haben können.
Mehrere Assoziationen werden zu einem Verband zusammengefaßt, mehrere Verbände zu einer Ordnung, mehrere Ordnungen schließlich zu einer Klasse. Eine einzige Assoziation kann aber auch einen eigenen Verband repräsentieren, wenn die Unterschiede zu anderen Assoziationen ungewöhnlich groß sind.
Nomenklatur-Endungen und verwendete Abkürzungen:
Klasse: z.B. Molinio-Arrhenatheretea, Wirtschaftswiesen; KC – Klassen-Charakterart.
Ordnung: z.B. Arrhenateretalia, Fettwiesen; OC – Ordnungs-Charakterart.
Verband: z.B. Poion alpinae, Alpenrispengras-Fettweiden; VC – Verbands-Charakterart.
Assoziation: z.B. Trifolio thalii-Festucetum violaceae, Urfettweide; AC – Assoziations-Charakterart; B – Begleiter.
Abfolge der Vegetationseinheiten
Abb. 4: Abfolge von Vegetationseinheiten, die in Oberjoch und Umgebung vorkommen, wird im Text beibehalten. Blau: Pflanzengesellschaften, die im wesentlichen auf Dolomit stocken sowie Varianten dazu. Rot: Gesellschaften über kalkfreiem Gestein und in kalkfreiem Wasser sowie auf versauerten Böden und Humusschichten. Diese sehr vereinfachte Darstellung berücksichtigt auch die Höhenstufen in der Leserichtung von unten nach oben. ECM: Ektomykorrhizavegetationen. Erläuterungen im Text. Orig.