Ausbildung
Der Universitätsunterricht ist nicht Gegenstand dieser Darstellung. Da aber ohne ein angemessenes mykologisches Lehrangebot der benötigte akademische Nachwuchs ausgeblieben wäre, soll kurz auf unsere Ausbildung hingewiesen werden.
Bereits im damaligen Grundstudium wurden Pilze in Vorlesungen, Kursen, Seminaren und auf Exkursionen behandelt. Zu Schemata komprimierter Lehrstoff war anspruchsvoll und herausfordernd zugleich, wurde aber erfolgreich eingesetzt. Nicht überraschend war, dass diese Lehrmaterialien allmählich weit verstreut, mittlerweile sogar über nationale Grenzen hinweg, zu finden sind.
Im Hauptstudium waren unsere Forschungsrichtungen in Systematik und Phylogenie diverser Pilztaxa, in Ökologie von Mikropilzen inklusive Hefen, Mykorrhizen und unterschiedlichen Parasitengruppen, durch Spezialvorlesungen, Seminare und Praktika hinreichend abgedeckt. Flankiert wurde dieses Angebot durch Methodenkurse, wie die der Kultur- und Mikroskopietechniken, der Transmissionselektronenmikroskopie und der molekularphylogenetische Rekonstruktionen. Zu diesen hat Weiß (2004-2011) ein anwendungsorientiertes Handbuch herausgegeben. Die aktuellen Methoden und Anwendungen molekularphylogenetischer Rekonstruktionen haben Weiß & Göker (2011) ausführlich dargestellt.
Auf die bereits erwähnten Lehrveranstaltungen in Oberjoch muss hier nochmals verwiesen werden. Anfänger, Fortgeschrittene, Doktoranden und sogar wissenschaftliche Mitarbeiter, inklusive Postdocs, haben daran teilgenommen. Ebenfalls über viele Jahre gab es bei uns morphologisch-systematische Übungen, die schnell und dauerhaft als „Zeichenkurs“ betitelt und geschätzt wurden. Hier war größtmögliche Freiheit der Objektwahl mit scharfer Kontrolle der Ausarbeitung kombiniert. Das Hauptaugenmerk lag auf der naturgetreuen Wiedergabe zellulärer Baupläne der Pilze. Erfreulicherweise haben ehemalige Teilnehmer dieser Lehrveranstaltung an anderen Orten und in anderen Ländern diese Tradition fortgeführt. In Oberjoch, wie beim Zeichenkurs, lag der Anreiz zu mehrfacher bis dauernder Teilnahme, in der eigenständigen Arbeitsweise – von der Materialbeschaffung im Gelände bis zum Endprodukt von (Neu)beschreibungen mit Illustrationen, von Reinkulturen für Laborexperimente und von Proben für Elektronenmikroskopie und für molekulare Analysen.
Nationale und internationale mykologische Aktivitäten
Diese Auflistung stellt nur eine Auswahl dar.
Wir begannen mit dem Aufbau einer Stammsammlung für Pilze 1974 und haben sie bis heute weiter geführt. Viele der bei uns isolierten, identifizierten, charakterisierten und weiter in Kultur gehaltenen Arten sind weltweit benutzt worden. Mehrfach wurden unsere Pilzstämme auch für industrielle Screenings auf unterschiedliche Sekundärmetabolite verwendet. Die Stammsammlung wurde auch intensiv für unsere Lehrveranstaltungen eingesetzt. – Am Sonderforschungsbereich 76, „Chemische Biologie der Mikroorganismen“, der Tübinger Mikrobiologie waren wir mit eigenen Basidiomycetenstämmen und Screenings auf antibiotisch wirksame Verbindungen seit 1974 beteiligt.
Als 1976 das Berghaus Iseler der Universität Tübingen für Lehrveranstaltungen genutzt werden konnte, begannen dort unsere floristischen und vegetationskundlichen Lehrveranstaltungen und Forschungsaktivitäten, die bis 2011 fortgesetzt werden konnten. – In Lausanne war Oberwinkler 1976 Teilnehmer am internationalen Herbette-Symposium über das „Species concept of Hymenomycetes“ und 1991 an demjenigen zum „Genus concept in mycology“.
Am interdisziplinären Schönbuch-Forschungsschwerpunkt haben wir uns 1978 mit einem mykofloristisch-ökologischen Pilz-Baumwurzel-Projekt beteiligt. Damit begann die Mykorrhizaforschung an unserem Lehrstuhl, die sich ab 1981 intensiv mit Themen der Waldschadensforschung beschäftigte.
Mit der Teilnahme von Oberwinkler an der mykologischen Expedition des New York Botanical Garden 1978 nach Kolumbien bekam die Tübinger Tropen-Mykologie neuen Aufschwung. In diesem Jahr wurde auch die Kooperation mit Bandoni, University of British Columbia, Vancouver, zu Themen der Heterobasidiomyceten-Systematik angefangen. – Wie oben erwähnt, begannen wir die Publikationsreihe „Studies in Heterobasidiomycetes“ 1980.
Von 1978-83 war Oberwinkler 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. In der weiteren Nachfolge von Oberwinkler waren die Amtsträger, dann Präsidenten genannt, seine Schüler Agerer (2000-2006, 2011-), Piepenbring (2007-2008) und Langer (2008-2011). Jahrestagungen der Gesellschaft wurden 1977 und 2006 in Tübingen abgehalten. – 1991 haben die meisten Tübinger Mykologen an der Tagung der Sektion Mykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft in Bayreuth und 1997 in Regensburg teilgenommen.
Bereits 1981 wurde unser erstes molekularbiologisches Labor von Blanz und Brennicke eingerichtet, die damit ihre in Urbana und Stanford begonnenen Arbeiten bei uns fortsetzen und eine junge, hiesige Generation von Molekularbiologen ausbilden konnten. Brennicke wird wegen seines enormen methodischen Inputs an unserem Lehrstuhl erwähnt. Da er mit Höheren Pflanzen arbeitete, sind seine Arbeiten nicht Gegenstand dieser Übersicht.
Abb. 59: Teilnehmer des internationalen Hefekurses in Oeiras, Portugal, Photo Anonymus 1.4.1986.
Den Botanik-Lehrstühlen der Universität Tübingen wurde 1985 das Kooperationsprojekt "Pilz-Baumwurzel-Symbiosen" im Landesforschungs-Förderungsprogramm bewilligt. 1991 konnten sie ein koordiniertes Forschungs- und Lehrkonzept im Rahmen des von der DFG finanzierten Graduiertenkollegs "Organismische Interaktionen in Waldökosystemen", dessen Sprecher Oberwinkler war, umsetzen. Dieser Verbund konnte schließlich noch Lehrstühle der Universität Freiburg einbeziehen.
Auf Einladung von van Uden haben Blanz, Deml und Oberwinkler 1986 einen international besuchten Hefe-Kurs am Gulbenkian Institute of Science in Oeiras, Portugal, abgehalten (Abb. 59).
1987 begannen wir in Zusammenarbeit mit Johannes Chen von der Chung-Hsing-Universität Taichung, mit Untersuchungen zur Pilzflora von Taiwan. Diese Arbeiten in Taiwan konnten mit weiteren Kollegen und ehemaligen Schülern von uns bis heute fortgesetzt werden. – Ein projektbezogener Wissenschaftleraustausch mit Taiwan 2000-2001 wurde vom DAAD gefördert. Daran waren Kirschner und Z.-C. Chen beteiligt. – Mit einer Lehr- und Forschungsexkursion für Studierende der Universität Tübingen nach Costa Rica, 1989, haben wir unsere mykologische Forschung in den Neotropen erneut stimuliert.
Oberwinkler war von 1994-1998 Präsident der International Mycological Association (IMA). Er hat die deutsche Mykologie auf allen bisherigen 9 internationalen mykologischen Kongressen, IMCs der IMA, vertreten: IMC 1 in Exeter 1971, IMC 2 in Tampa 1977, IMC 3 in Tokyo 1983, IMC 4 in Regensburg 1990, IMC 5 in Vancouver 1994, IMC 6 in Jerusalem 1998, IMC 7 in Oslo 2002, IMC 8 in Cairns 2006, IMC 9 in Edinburgh 2010. Die Kongresse von Regensburg, Jerusalem und Oslo wurden von Oberwinkler mitvorbereitet, zum Kongress in Cairns wurde er für den Eröffnungsvortrag, „The fungal tree of life“, eingeladen. – Auch auf internationalen Botanik Kongressen (IBCs) hat Oberwinkler die Mykologie vertreten, so in Sydney 1981 (IBC XIII), in Berlin 1987 (IBC XIV), in Yokohama 1993 (IBC XV), in St. Louis 1999 (IBC XVI) und 2005 in Wien (IBC XVII). Bei letzterem waren die Tübinger Mykologen auch durch Bauer, Begerow, Göker und Weiß präsent.
Zu nationalen Evaluierungen universitärer biologischer Disziplinen wurde Oberwinkler als Gutachter für Mykologie 1988 nach Norwegen und 1990 nach Schweden eingeladen.
Die Ausgabe der „Ustilaginales Exsiccata“ hatte Vánky in Gagnef begonnen und als Mitarbeiter am Lehrstuhl Spezielle Botanik und Mykologie in Tübingen von 1986-1999 fortgesetzt. – 1995 wurde von E. Langer, G. Langer und Oberwinkler ein „Digital Exsiccate of Fungi“ ins Internet gestellt. – An der internationalen Initiative der Global Biodiversity Information Facility (GBIF), Daten zur Artenvielfalt in digitaler Form frei verfügbar zu machen, hatten sich Bauer, Begerow und Oberwinkler seit 2002 mit licht- und elektronenmikroskopischen Bildern der Mikrostrukturen von Basidiomyceten beteiligt. – Bauer et al. (2008a) sind am „Tree of Life Web Project“ mit den Ustilaginomycotina beteiligt.
Nach einer Vorlaufphase von einem Jahr wurde das Konzept eines ökologischen Verbundprojektes zur Biodiversität und ihrer Funktionen in einem tropischen Bergregenwald an der Estacion Scientifica de San Francisco bei Loja, Südecuador, 1998 durch die DFG begutachtet. Damals konnte von Oberwinkler vermittelt werden, dass auf Kenntnisse funktionaler Aspekte der Bodenorganismen nicht verzichtet werden kann. Dies führte zur Beteiligung der Tübinger Mykologen an diesem beachtlichen Vorhaben bis heute.
Anläßlich des Jubiläums „25 Jahre Mykologie in Tübingen“ wurde 1999 ein Symposium ausgerichtet (Abb. 60).